Scham, erklärt an meinem Körper

Scham ist eines der Gefühle, das ich immer schon kenne. In Bezug auf meinen weiblichen Körper erinnere ich mich an das erste Schämen, als ich mit 11 meine Menstruation bekommen habe. Am Klo sitzend, nicht begreifend, was da passierte – doch noch mehr die Tatsache, dass meine Mama einer engen Freundin am Telefon fast nebensächlich erzählte, dass ich zum ersten Mal meine Tage bekommen hatte und wir deshalb nicht mit zum Schwimmen kommen konnten. Ich wusste damals (und lange später) nicht, dass meine Blutungen wie meine Haare, meine Zähne und alles an und in meinem Körper einfach zu mir gehörten.

Von da an überkam mich monatlich Scham, wenn ich nur an den walk of shame zum Schulklo dachte – das Tampon fest umschlossen in meiner Faust, die Hoffnung, dass niemand gesehen hatte, wie ich es aus meinem Rucksack herausgefischt hatte.

Einmal passierte es, dass ich einen Blutfleck am weißen Rock hatte. Glücklicherweise hatte dieser Rock ein Muster und der Fleck fügte sich unauffällig ein. Später im Schulbus nach Hause hinterließ ich einen roten Fleck am Sitz. Ich sah diesen, reagierte nicht darauf und schämte mich so sehr, dass ich bis heute nicht gerne auf hellen Sitzpoltern sitze. Auch, wenn ich nicht blute.

Doch dies ist nur eine Einführung. Die Scham verteilt sich am und vor allem im ganzen Körper.

Die Haare am Kopf zu dünn oder die Babyhaare zu stehend? Trockene Kopfhaut oder öliges Haar? Zum Schämen.

Die Unebenheiten an der Stirn, neben den Augen und dem Mund zu sichtbar? Zum Schämen.

Die Augenbrauen frei wachsend, ergo nicht perfekt in Form gezupft? Zum Schämen.

Die Nase zu groß? Die Lippen zu schmal? Die Härchen an der Oberlippe zu dunkel, zu lang oder zu existent? Zum Schämen.

Die Schultern zu breit? Die Achseln zu haarig? Schweißflecken auf der Kleidung? Zum Schämen.

Die Brüste zu klein, zu groß, zu verschiedenförmig, zu hängend? Zum Schämen.

Bauch, Beine, Po zu weich, zu dellig, zu beweglich? Zum Schämen, aber wirklich!

Die Schamlippen – die aufgrund des Namens schon prädestiniert sind – zu lang, zu dunkel, zu behaart. Zum Schämen.

Einzig und alleine das Nennen dieser in diesem Text ist doch wirklich zum Schämen! (Labien. So werden sie übrigens genannt, ganz ohne Scham.)

Quelle: Das Patriarchat.

Von Gerüchen, Flüssigkeiten, bestimmten „unweiblichen“ Verhaltensweisen, Körperfunktionen oder Körperunfunktionen sprechen wir hier gar nicht einmal. 

Am weiblichen Körper gibt es wenig, das nicht zum Schämen verurteilt ist. Und das ist keine persönliche Entscheidung oder eine Frage des Selbstbewusstseins oder Mindsets – es ist eine gesellschaftliche, historische, institutionelle, patriarchale Frage. Im Hintergrund sind Mechanismen tätig, die uns Frauen fügig, klein und stimmlos machen. Und auch das ist nicht meine Meinung, das ist leider leider leider bewiesenermaßen Teil einer ganz schmerzhaften Wahrheit.

Als wäre Scham etwas, das uns hilft – indem wir uns selbst verurteilen und dann zu Über-Frauen optimieren? – nehmen wir sie einfach als gegeben hin. Wir erfreuen uns an kleinen Kindern, die nackt ihr Leben bestreiten, aber reden ihnen – wenn wir es dann als unangenehm empfinden – ein, dass das so nicht mehr geht. Dass sie den Bauch einziehen, die Stimme leiser und sich eben wie ein echter Junge oder ein echtes Mädchen verhalten sollen. 

Für manche Sachen versuche ich mich nicht mehr zu schämen. Indem ich Haare an Beinen und Achseln lang wachsen lasse und mich der Öffentlichkeit damit zeige, beispielsweise. Da ich dabei nicht sterbe und mir auch sonst bisher noch nichts passiert ist, wage ich mich immer weiter vor in die schamlose Welt als weiblicher Mensch.

Von schamlos bin ich aber noch weit entfernt, da immer irgendetwas schambehaftet sein wird. Wenn nicht aus meiner Sicht, dann aus der von irgendjemandem.

Aber.

Mich von der Scham zurückhalten zu lassen, das möchte ich nicht mehr. Weder für mich, noch für alle Mädchen und Frauen, die ich (nicht) kenne.

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