Sprachliche Artenvielfalt

Mache ich das Chatfenster mit meinem Bruder auf, fallen mir zuallererst die super unvorteilhaften Selfies auf, die wir uns gegenseitig schicken. Eine lustige Mischung aus Selbstironie und Insidercharme. Auf den zweiten Blick sehe ich die liebevoll unförmigen Wörter, die im Chat herumtanzen.

Kaum ein Wort ist in deutscher Standardsprache geschrieben. Jedes Wort kommt direkt aus unserer gesprochenen Muttersprache, dem Dialekt, in dem wir aufgewachsen sind.

Auch in der Familiengruppe tümmeln sich verspielte Worterfindungen, dicht gefolgt von Ausdrücken, die nur wir entziffern können – gepaart mit tausenden Emojis, die jede Lebenslage auszudrücken wissen.

Unsere Familien-Sprache ist Österreichisch. In zwei Dialekten (dem Flachland- und dem Gebirgsdialekt) eingeteilt, tauschen wir uns auch in geschriebener Weise auf Österreichisch aus. Für mich war das bis vor Kurzem absolut nicht befremdlich. Eher das Gegenteil war der Fall: Schrieb ein Familienmitglied mehr als ein Wort im Duden-Deutsch, stimmte etwas nicht.

Bis zu dem Moment, als mein Mann – der kein Deutsch-Muttersprachler ist – versuchte, den Geschichten im Chat zu folgen. Das Verstehen jedes zweiten Wortes gestaltete sich schwieriger als gedacht.

Ganz klar – im Dialekt zu sprechen ist eine Sache. Darin zu schreiben, eine andere. Die gesprochene Sprache in eine geschriebene umzuwandeln ist jedoch auch nicht ganz ohne (man betrachte diesen Ausdruck als Beweis des vorangegangenen Tatbestandes). Immer wieder bemerke ich, dass meine (österreichische) Sprache ihre Grenzen hat. Immer wieder stehe ich vor dem Moment, in dem das Duden-Deutsch (ich sage manchmal auch „Deutschland-Deutsch“ dazu) weit entfernt von dem ist, was ich hervorbringe.

Bis vor Kurzem hatte ich das Gefühl, meine Sprache am „Deutschland-Deutsch“ messen zu müssen. Beim Gespräch mit einer Freundin, die meiner Einschätzung nach sehr korrektes Deutsch spricht, kamen wir zu folgendem Punkt: Ich wollte etwas erzählen und konnte den Ausdruck im „richtigen“ Deutsch nicht nennen (Ich glaube, es ging um die Spülmaschine aka den Geschirrspüler). Ich bemerkte – fast nebenbei – dass man das im „richtigen“ Deutsch ja nicht so sage, aber mir der Begriff eben nicht einfiele – als sie mir ganz klar erwiderte: „Aber das ist doch schön, dass es dazu in Österreich einen anderen Ausdruck gibt!“

Das saß.

Anstatt das Österreichische als die Stiefschwester des Deutschen anzusehen, rutschte für mich in diesem Moment die Sprache, die ich seit klein auf sprach, auf ein anderes Level. Nämlich auf Augenhöhe. Das war es.

Seitdem ich für einen deutschen Verlag (mit schweizerischen Wurzeln) als Österreicherin Bücher schreibe, fallen mir die Unterschiede in der Sprache (die wir alle unter „Deutsch“ kennen) noch mehr auf. Ich versuche aber – mit dieser neu gewonnenen Güte der österreichischen Sprache gegenüber (ha, als wäre das eine Sprache!) – etwas freundlicher umzugehen.

Schließlich ist sie die Sprache, die mir am nächsten ist und die ich gerne vorm Aussterben beschützen möchte. Denn Artenvielfalt schadet nie, auch nicht in sprachlicher Hinsicht.

P.S.: Über die Grenzen meiner Sprache habe ich am Blog des veganen Kinderbuchverlags auch einen Beitrag verfasst. Schaut gerne mal vorbei!

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