Immer, wenn ich Ideen für meinen nächsten Text habe, sammle ich sie in meinem Kopf so lange, bis mir ein passender Überbegriff einfällt. Ein Titel, ein Bogen, der alle Geschichten mit einschließt. Und dieses Mal ist es „Räume“.
Interessant, weil irgendwie alles als Raum gesehen werden kann. Ich bin in einem anderen Lebens-Raum, bewege mich aus meinem Komfort-Raum ganz oft nach außen, lerne neue Welt-Räume kennen und durch meine Sprache und die Begegnungen hier öffnen sich neue Denk-Räume.
Ja, so weit geht dieses Thema. Und damit wir alle schön (schwebend) am Boden bleiben können, werde ich euch von ganz angreifbaren, echten Räumen erzählen. Und bereits wenn ich das ausschreibe, merke ich, dass die Räume, von denen ich gleich schreiben werde (WIE LANG DAUERT DIESE EINLEITUNG BITTESCHÖN NOHOCH??), doch vielleicht auch imaginäre sind.
So. Los gehts.
In der letzten Woche war ich zum allerersten Mal in meinem ganzen Leben (HAAA SIE FORMULIERT SCHON WIEDER SO UM DEN BREI HERUM) in einem „Escape room“. Diejenigen unter euch, die sowas schon mal gemacht haben, können jetzt weghören (WIE? WEGHÖREN? WEGLESEN? ABER DANN WEISS ICH JA NICHT, WO ICH WIEDER WEITERLESEN SOLL? ACH, EGAL. ICH LES EINFACH WEITER.)
Ein „Escape room“ (zu Deutsch: „Ich will hier raus – Zimmer“) ist ein Spiel für Erwachsene. Man wird in einen Raum eingesperrt und hat 60 Minuten Zeit, die passenden Schlösser und Schlüssel, Codes und Kombinationen, Lösungen und Clues zu finden, um die verschlossene Tür aufzusperren. Klaus, unser Trophobiker, hätte hier wohl keinen Spaß. Die ganze Sache ist natürlich sicher, und es gibt einen Notfallknopf für den Fall des Falles (falls zufällig jemand fällt). Aber wie gesagt, eigentlich geht es in diesem Spiel darum, kniffig und geschickt – und vor allem gemeinsam in einer Gruppe – Rätsel zu lösen.
Wir waren mit einem Freund von Gastón und dessen Brüdern und es war so ein Spaß! Wir waren in einem „Hotelzimmer“ und erst nachdem wir die Karte zum Aktivieren des Lichts gefunden haben, konnten wir mithilfe der anderen Hinweise durch einen Luftschacht in den anderen Teil des Spielhotels krabbeln, um dort Hinweis für Hinweis zum Ausgang zu gelangen. Nach einer halben Stunde haben wir gemeinsam alles gelöst und waren fast ein bisschen traurig, dass es schon aus war. Ich werd auf alle Fälle wieder mal zu so einem Spiel gehen, hab schon gesehen, dass es da daheim auch welche gibt! Juhu!
Die nächste räumliche Geschichte hat sich auch letzte Woche zugetragen. Ich hab ja von diesem pädagogischen Vortrag erzählt und durch geschicktes Networking hab ich den Kontakt von der Leiterin eines Kindergartens und einer Volksschule bekommen. Und die haben Gastón und ich letzte Woche besucht.
Und jetzt stellt ihr euch bestimmt die Frage, was das mit Räumen zu tun hat. (NAJA, SO SCHWIERIG IST DIESE FRAGE NUN AUCH WIEDER NICHT. IN EINER SCHULE WIRD ES WAHRSCHEINLICH RÄUME GEBEN…). Ja, aber was für Räume! Das ist nämlich wirklich anders als alles, was ich an Pädagogik bisher gesehen habe.
Die Schule ist die erste Reggio-inspirierte Schule Argentiniens. Reggio-Pädagogik ist eine Form des offenen Unterrichts, der Selbstbestimmung, der Partizipation, des Miteinanders. Reggio-Pädagog*innen sehen den Raum als dritten Erzieher und dementsprechend werden die Räume auch gestaltet und genutzt.
Das Atelier, das durch ein riesiges Fenster gleich beim Eingang immer sichtbar ist, der Hof, der mit einem kleinen Garten und einem großen Baum zum Verweilen einlädt. Die Räume, die wir auf unsere Tour durch die Schule sehen durften, waren voller Leben und voller Liebe zum Tun.
In einem wurde Akrobatik mit Literatur einstudiert. In Gruppen wurden zu Texten akrobatische Nummern eingeübt. In einem anderen wurde aus Holzresten und anderem Material geschraubt, gesägt, gehämmert und gebaut.
Die Lehrerin, die uns durch die Schule geführt hat, hat immer wieder von den „Sprachen“ gesprochen, die die Kinder an zwei Tagen der Woche wählen dürfen. „Sprachen“ sind im Fall dieser Schule alle Fächer und Fachbereiche, die angeboten werden. Und so können die Kinder selbst mitbestimmen, was sie interessiert, wo ihre Talente liegen und was sie im Moment gerade wichtig finden. Hier gibt es einen Text, wen es interessiert:
Apropos Moment: Ein Satz, der mich im anschließenden Gespräch mit der Leiterin der Schule sehr berührt hat war folgender: „Wir bereiten die Kinder hier nicht auf die Zukunft vor. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Was wirklich wichtig ist, ist die Gegenwart.“ Und dass das nicht höchsten Grades zukunftsorientiert ist, bezweifle ich.
Es macht so viel SINN, Kinder in dem zu stärken, was sie in der jeweiligen Zeit gerade gut können und mögen. Es macht so viel SINN, Kinder als Teil der jetzigen Gesellschaft zu sehen und sie auch so zu behandeln (Thema Demokratie und Partizipation und so). Es macht auch so viel SINN, ein Miteinander zu pflegen, das viel harmonischer, wertvoller, wertschätzender und letzten Endes auch ertragreicher ist, als jeglicher Ellbogenkämpfereiblödsinn.
In dieser Schule war ich auf so vielen Ebenen berührt. Immer wieder hatte ich Gänsehaut, wenn wir über die Philosophie der Schule gesprochen haben. Wenn ich die Kinder gesehen habe, die voller Eifer an ihrer Sache gewerkelt haben oder wenn ich daran gedacht habe, dass ich ja gar nicht so weltfremd bin mit meiner Einstellung, wie Pädagogik/Erziehung/Schule/Unterricht auch sein kann.
Die vielen Abers, die vielleicht in manchen Köpfen nun auftauchen, kann ich natürlich nicht alle beantworten. Weil ich sie nicht kenne. Aber ich kann mit großer Gewissheit sagen, dass es wenig Sinn macht, gleichförmig denkende Schafe, die nicht wissen, in welche Richtung sie laufen sollen und so dem lautesten Schafanführer nachrennen, heranzuziehen.
Dass es jedoch großen Sinn macht, das Leben in der Schule mit dem Leben außerhalb der Schule verschmelzen zu lassen. Dass es großen Sinn macht, Kinder und ihre Ideen ernst zu nehmen. Und dass es riesengroßen Sinn macht, Lernen als etwas Fruchtbringendes anstatt etwas Furchtbringendem zu sehen (Und diese zwei Worte unterscheiden sich nicht nur aufgrund der Position des „t“ meilenweit voneinander…).
(Apropos Früchte – hier bin ich auf einem Selbstversorgungstrip)
placeholder://Es gäbe noch so viel zu sagen, doch das führt in diesem Rahmen zu weit. Ich habe mich so verstanden gefühlt in dieser Schule, auch, wenn ich die „Sprache Sprache“ nicht wirklich spreche. Ich habe meine Ideen in einer manifestierten Form wiedergefunden und so auch den Mut geschöpft, meiner Vision zu folgen. (WELCHE VISION? HABE ICH ETWAS VERPASST?!) Nein, keine Angst. Davon hab ich hier noch nicht geschrieben. Das ist ein längeres Thema, nur so viel kann ich verraten: Ich weiß, dass ich einen RAUM gründen/haben/führen/gestalten/ermöglichen/eröffnen/… werde, in dem es Raum gibt (HACH, DIESE WORTSPIELEREIEN) für Kreativität in jeglicher Hinsicht – und der wird bestimmt nicht zu einem „Escape room“, sondern eher zu einem „enjoy room“.
Wann, wie, wo – das wird sich auftun.
(Im Video seht ihr auch so einen „Enjoy room“ – selbstgedrehte Musik im Kulturzentrum Recoleta)
[wpvideo S8Ism9lq ]
Jetzt hab ich bei all der T-räum-erei gar nicht erzählt, dass wir auch unseren Buenos Aires Raum erweitert haben: Am Samstag waren wir in einem wunderwunderschönen Naturschutzgebiet, haben die Ruhe genossen und Vögel beobachtet. Und gestern waren wir in Recoleta, einem der feinsten Bezirke der Stadt – die Häuser wie in Paris, schöne, große Parks und ein beeindruckender Friedhof, der zum Staunen einlädt.
• K •
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